Eduard Mörike                       Am Walde

1804 – 1875

Am Waldsaum kann ich lange Nachmittage,
Dem Kukuk horchend, in dem Grase liegen;
Er scheint das Tal gemächlich einzuwiegen
Im friedevollen Gleichklang seiner Klage.

 

Da ist mir wohl, und meine schlimmste Plage,
Den Fratzen der Gesellschaft mich zu fügen,
Hier wird sie mich doch endlich nicht bekriegen,
Wo ich auf eigne Weise mich behage.

 

Und wenn die feinen Leute nur erst dächten,
Wie schön Poeten ihre Zeit verschwenden,
Sie würden mich zuletzt noch gar beneiden.

 

Denn des Sonetts gedrängte Kränze flechten
Sich wie von selber unter meinen Händen,
Indes die Augen in der Ferne weiden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       An die Geliebte

1804 – 1875

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,
Dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.

 

Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?

 

Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

 

Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf - da lächeln alle Sterne;
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       An Margarete

1804 – 1875

Ich sehe dich mit reinbewußtem Willen –

Ach, leider oft den Nächsten selbst entgegen –

Noch sanft durchglüht vom letzten Vatersegen,

Streng deines Tages Pflichtenkreis erfüllen.

 

Du magst so gerne unbelauscht im stillen,

Was himmlisch blüht und unverwelklich, pflegen

Und, kindlich um das höchste Wort verlegen,

Den Reichtum deiner Brust verhüllen.

 

Wer so dich kennet, ja, der glaubt aufs neue,

Daß Wahrheit, Tugend Lieb und fromme Treue

Noch immer nicht von dieser Erde schieden.

 

Oft seh ich, wenn du trüb die Stirne senkest,

Den Stern, den du dir gar verloren denkest,

Dicht überm Haupt dir stehn – den selgen Frieden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       Antike Poesie

1804 – 1875

Ich sah den Helikon in Wolkendunst,
Nur kaum berührt vom ersten Sonnenstrahle:
Schau! Jetzo stehen hoch mit einem Male
Die Gipfel dort in Morgenrötebrunst.

 

Hier unten spricht von keuscher Musen Gunst
Der heilge Quell im dunkelgrünen Tale;
Wer aber schöpft mit reiner Opferschale,
Wie einst, den echten Tau der alten Kunst?

 

Wie? soll ich endlich keinen Meister sehn?
Will keiner mehr den alten Lorbeer pflücken? -
Da sah ich Iphigeniens Dichter stehn:

 

Er ist's, an dessen Blick sich diese Höhn
So zauberhaft, so sonnewarm erquicken.
Er geht, und frostig rauhe Lüfte wehn.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       Eberhard Wächter

1804 – 1875

 

In seine hohen Wände eingeschlossen,
Mit traurig schönen Geistern im Verkehr,
Gestärkt am reinen Atem des Homer,
Von Goldgewölken Attikas umflossen:

 

Also vor seinen Tüchern unverdrossen,
Fern von dem Markt der Künste, sitzet er;
Kein Neid verletzt, kein Ruhm berauscht ihn mehr.
Ihm blüht ein Kranz bei herrlichern Genossen.

 

O kommt und schaut ein selig Künstlerleben!
Besuchet ihn am abendlichen Herd,
Wenn diese Stirne, sich der Wunderschwingen

 

Des Genius erwehrend, sich nur eben
Erheitert zu dem Alltagskreise kehrt,
Den Weib und Kinder scherzend um ihn schlingen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       Liebesglück

1804 – 1875

Wenn Dichter oft in warmen Phantasien,
Von Liebesglück und schmerzlichem Vergnügen,
Sich oder uns, nach ihrer Art, belügen,
So sei dies Spielwerk ihnen gern verziehen.

 

Mir aber hat ein gütger Gott verliehen,
Den Himmel, den sie träumen, zu durchfliegen,
Ich sah die Anmut mir im Arm sich schmiegen,
Der Unschuld Blick von raschem Feuer glühen.

 

Auch ich trug einst der Liebe Müh und Lasten,
Verschmähte nicht den herben Kelch zu trinken,
Damit ich seine Lust nun ganz empfinde.

 

Und dennoch gleich ich jenen Erzphantasten:
Mir will mein Glück so unermeßlich dünken,
Daß ich mir oft im wachen Traum verschwinde.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       Nur zu!

1804 – 1875

Schön prangt im Silbertau die junge Rose,
Den ihr der Morgen in den Busen rollte,
Sie blüht, als ob sie nie verblühen wollte,
Sie ahnet nichts vom letzten Blumenlose.

 

Der Adler strebt hinan ins Grenzenlose,
Sein Auge trinkt sich voll von sprühndem Golde;
Er ist der Tor nicht, daß er fragen sollte,
Ob er das Haupt nicht an die Wölbung stoße.

 

Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen,
Noch glänzet sie und reizt unwiderstehlich;
Wer will zu früh so süssem Trug entsagen?

 

Und Liebe, darf sie nicht dem Adler gleichen?
Doch fürchtet sie; auch fürchten ist ihr selig,
Denn all ihr Glück, was ists? - ein endlos Wagen!

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       Peregrina (V)

1804 – 1875

                                               Die Liebe, sagt man, steht am Pfahl gebunden,

Geht endlich heim, zerrüttet, unbeschuht;

Dies edle Haupt hat nicht mehr, wo es ruht,

Mit Tränen netzet sie der Füße Wunden.

 

Ach, Peregrinen hab ich so gefunden!

Schön war ihr Wahnsinn, ihrer Wange Glut,

Noch scherzend in der Frühlingsstürme Wut

Und wilde Kränze in das Haar gewunden.

 

Wars möglich, solche Schönheit zu verlassen?

- So kehrt nur reizender das alte Glück!

O komm, in diese Arme dich zu fassen!

 

Doch weh! Oh weh! Was soll mir dieser Blick?

Sie küßt mich zwischen Lieben noch und Hassen.

Sie kehrt sich ab und kehrt mir nie zurück.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       Seltsamer Traum

1804 – 1875

Als Nachbild eines glücklichen Theaterabends

bei und nach Aufführung von Mozarts Figaro

Marien und Paulinen, Rudolph und Friedrich gewidmet

von dem Lustigsten aus der Gesellschaft

Stuttgart, 1828

 

 

Ich sahe nächtlich hinter Traumgardinen
Viel Frühlingsgärten blühn und immer ändern;
Es tanzten, klein, auf zierlichen Geländern
An hundert Figaros mit Cherubinen.

 

Wie alle Dinge hundertfach erschienen,
So sah ich zwischen Masken, Blumen, Bändern,
Und zwischen all den seidenen Gewändern
Einfach die Einzigen, Marien, Paulinen.

 

Und aus dem samtnen Frühlingsboden stiegen,
Gehoben von melodischen Gewalten,
Die Leidenschaften auf als ernste Schatten;

 

Da sah ich, still, mit tief gefurchten Zügen,
Einfach zwei edle bärtige Gestalten,
Und ich sang, als Hanswurst, auf Blumenmatten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       Sonett an Luise

1804 – 1875

Wahr ist’s, mein Kind, wo ich bei dir nicht bin,

Geleitet Sehnsucht alle meine Wege

Zu Berg und Wald, durch einsame Gehege

Treibt mich ein irrer, ungedulger Sinn

 

In deinem Arm! o seliger Gewinn!

Doch wird auch hier die alte Wehmut rege,

Ich schwindle trunken auf dem Himmelsstege

Die Gegenwart flieht träumend vor mir hin.

 

So denk ich oft: dies Schnell bewegte Herz

Vom Überglück der Liebe stets beklommen

wird wohl auf Erden nie zur Ruhe kommen;

 

Im ewgen Lichte löst sich jeder Schmerz,

Und all die schwülen Leidenschaften fließen

wie rosge Wolken, träumend, uns zu Füßen!

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike                       Zu viel

1804 – 1875

Der Himmel glänzt vom reinsten Frühlingslichte,
Ihm schwillt der Hügel sehnsuchtsvoll entgegen,
Die starre Welt zerfließt in Liebessegen,
Und schmiegt sich rund zum zärtlichsten Gedichte.

 

Am Dorfeshang, dort bei der luftgen Fichte,
Ist meiner Liebsten kleines Haus gelegen -
O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen,
Daß all der Wonnestreit in dir sich schlichte!

 

Du, Liebe, hilf den süßen Zauber lösen,
Womit Natur in meinem Innern wühlet!
Und du, o Frühling, hilf die Liebe beugen!

 

Lisch aus, o Tag! Laß mich in Nacht genesen!
Indes ihr sanften Sterne göttlich kühlet,
Will ich zum Abgrund der Betrachtung steigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Mörike             Zwei dichterischen Schwestern von ihrem Oheim

1804 – 1875

Heut lehr' ich euch die Regel der Son--
Versucht gleich eins! Gewiss, es wird ge--,
Vier Reime hübsch mit vieren zu versch--,
Dann noch drei Paare, dass man vierzehn h--,

 

Lasst demnach an der vielgeteilten K--                               
Als Glied in Glied so einen Schlussring sp--:
Das muss alsdann wie pures Gold erk--;
Gewisse Herrn zwar hängen Klett' an K--.

 

Ein solcher findet meine schönen N--
Bei diesem Muster. "Ah, Fräulein, Si st--!" -                    
"Oh nein, Herr Graf, hier gilt es Silben z--." –

 

"Wirklich! Doch wenn die Lauren selber d--,
Was soll Petrarka?" - "Der mag Strümpfe str--.
Eins wie das andre ist für schöne S--."